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Der neue Advokat: Analysis

Der neue Advokat: Analysis

Der Plot:

Ein Advokat diskutiert den Dr. Bucephalus, ein junger Advokat und neues Mitglied der Rechtsanwaltskammer, der in einem früheren Leben Streitroß Alexanders von Mazedonien war.

Charaktere:
Der Erzähler: Ein Advokat, der sich fachmännisch und ein bisschen eitel benimmt (wenigstens scheint er den Gerichtsdiener als minderwertig zu bewerten), der aber auch in seiner Handlung des Bucephalus als tolerant, rational, und im Besitz einen spürbaren künstlerischen und historischen Sinn wirkt. Seine Redensart ist zwar trocken, aber er beschreibt der Unersetztlichkeiten Alexanders von Mazedonien sehr schön.

Dr Bucephalus, ein Advokat, der wie ein Streitroß die Stufen der Freitreppe der Gerichtsgebäude besteigt, der aber normalerweise seinem früheren Leben als Streitroß Alexanders von Mazedonien nicht gleicht, und meistens seine alten Gesetzbüchern widmet.

Ein Gerichtsdiener, den—wahrscheinlich schon seiner Stellung wegen—der Erzähler als “ganz einfach” beschreibt. Er bestaunt wie Bucephalus die Freitreppe steigt—es ist aber nicht klar ob er wirklich Bucephalus mit “dem Fachblick des kleinen Stammgastes der Wettrennen” bewundert, oder nur mit einer Wertschätzung der Schönheit.

Die anderen Mitglieder der Anwaltschaft: Wir lernen nur, daß sie auch dem Dr Bucephalus verständnisvoll entgegenkommen.

Warum die Geschichte so komisch wirkt:

Der Erzähler und die andere Mitglieder der Anwaltskammer scheinen nichts komisches daran zu bemerken, daß der Dr Bucephalus die Reinkarnation des Streitroß Alexanders von Mazedonien sein sollte. Alle scheinen diese Umständen—die in unserer Weltanschauung als unmöglich gelten (auch wenn ein Mann die Reinkarnation eines Streitroßes sein könnte, wie könnte irgendjemand—geschweige denn jedermann—diese Tatsache zweifelsfrei Bescheid wissen?)—als ganz selbstverständlich hinzunehmen.

Der Erzähler und seine Kollegen konzentrieren nicht daran, ob Dr. Bucephalus vor etlichen tausenden Jahren der Streitroß Alexanders von Mazedonien hätte sein sein, sondern beschränken ihre Überlegungen daran, welche Wirkung sein ehemaliges Leben darauf haben sollte, wie ihn das Barreau handelt. Also erleben wir eine fremde Weltordnung und Realität.

Man wäre vielleicht daher verleitet, die Geschichte als psychologisch Sciencefiction zu beschreiben. Vielleicht ist es nur ein Versagen unserer Wissenschaft, daß wir nicht feststellen können, wer eine Reinkarnation von wem ist; aber das Gefühl der Geschichte ist eher magisch als zukunftwissentschaftlichisch (wie wir über sein ehemaliges Leben wissen ist nicht erklärt—ist einfach akzeptiert, als ob so eine Kenntnis ganz in Ordnung wäre); und eher einfach anders als magisch (die Geschichte spricht nicht vom Zauberei). Immerhin, die Geschichte ist mit der Sciencefiction verwandt: wie die Sciencefiction imaginären Realitäten konstruktiert, worin man wissenschaftliche, philosophisches, psychologische, und gesellschaftliche Ideen untersuchen kann, baut diese Geschichte eine andere Realität und erforscht, wie die Gesellschaft Kafkas Zeit dazu reagieren würde.

Ist diese Analysis richtig? Ein bisschen. Aber wenn man annimmt, daß alles in dieser Geschichte, von der allgemeinen Kenntnis von Reinkarnation, genau wie die Realität Kafkas Prague sein sollte, klingt die Narration als unrealistisch.

Was wir von dem Erzähler nicht wissen ist, ist wie viel er unser Sinn der Ironie teilt. Die begeisterte Vergleichung des Bucephalus bestaunenden Gerichtsdieners mit einem Pferdekenner; die Begeisterung der “Einsicht” der Rechtsanwaltskammer dem Bucephalus gegenüber; die Beschreibung der mörderisch-ehrgeizigen Einzelheiten Alexanders Handlung (wie zB, die Geschicklichkeit, mit der Lanze über den Bankettisch hinweg den Freund zu treffen) als immer noch gegenwärtig, die Fähigkeit Indien überhaupt zu finden aber als seiner Zeitgenossen völlig unmöglich; die Zustimmung Bucephalus Entscheidung den alten Büchern zu widmen: Die Leser empfindet jede dieser Formulierungen als ironisch; wie aber empfindet sie des Erzählers?

Also kann die Seltsamkeit des Erzählers nicht einfach seine Kenntnis der Reinkarnation zuzuschreiben. Das Thema scheint er sehr ernst und selbstverständlich zu nehmen, aber er schreibt voller Ironie, Witz und Kunstfertigkeit. Sicherlich verstand Kafka das Witz seiner Geschichte, aber ein Teil davon, was die Geschichte witzig und interessant macht, ist der Sinn, daß der Erzähler es alles ganz im Ernst meint.
Was tut hier Kafka? Macht er sich über die ahnungslose Arroganz des Kleinbürgertums lustig? Über seine Bereitschaft, alles unkritisch hinzunehmen? Ein bisschen. Aber mehr spielt er mit unserer Sicherheit von der Realität unserer Realität. Auch zeigt er wie die Seele des Menschens von der Schönheit strotzt. In dieser erkennbaren aber zugleich verfremdeten Version unser Weltanschauung und Verhaltensstandards, blicken wir wie unglaublich auch unsere alltäglichsten Erlebnissen sind, und auch wie wir die Schönheit des Mysteriums des Lebens—egal wie oberflächlich wir zu sein versuchen—tief hinein bemerken und spiegeln muss.

AMW/BW

Kafka Translations 2: Der neue Advocat./The new Lawyer.

Kafka Translations 2: Der neue Advocat./The new Lawyer.

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Note on this translation project:

The idea is to aid with German comprehension: First you read the German with the hard words explained; then you read an English translation; and finally you read the original German with perfect comprehension, as if you were Franz Kafka himself!

These short short stories were all part of the story collection “Ein Landartz” (“A Country Doctor”), published in 1919 (Franz Kafka, author; Kurt Wolff, publisher).

German original available (kostenlos, natuerlich) at Project Gutenberg (or at the very bottom of this page). If, deutschlos, you just want to read my English translation, skip to English Translation

I’ve also written an Analysis and Response Story

Der neue Advocat./The new Lawyer.

1. Wir haben einen neuen Advokaten [lawyer], den Dr. Bucephalus. In seinem Äußern [appearance] erinnert [to remind] wenig [little] an die Zeit, da er noch [still/yet] Streitroß [war horse] Alexanders [genitiv (possessive) case)] von Macedonien war. Wer allerdings [however] mit den Umständen [circumstances] vertraut [to trust] ist, bemerkt [notices] einiges [some OR quite a bit].

1. We have a new lawyer, Dr. Bucephalus. Little in his appearance reminds one of the time he was yet the war horse of Alexander from Macedonia {Alexander the Great}. However, one who is familiar with the circumstances notices a few things.

1. Wir haben einen neuen Advokaten, den Dr. Bucephalus. In seinem Äußern erinnert wenig an die Zeit, da er noch Streitroß Alexanders von Macedonien war. Wer allerdings mit den Umständen vertraut ist, bemerkt einiges.

2. Doch sah ich letzthin [lately, recently] auf der Freitreppe [outside steps] selbst [even Or alone Or myself] einen ganz einfältigen [simple Or simple-minded] Gerichtsdiener [court usher] mit dem Fachblick [expert-look] des kleinen Stammgastes [regular] der Wettrennen [race] den Advokaten bestaunen [to marvel], als dieser [as a pronoun, “dieser” can mean “this one” Or “he” Or “the former”], hoch die Schenkel [thighs] hebend [heben: to raise], mit auf dem Marmor [marble] aufklingendem[ring] Schritt [footstep] von Stufe [step] zu Stufe stieg [climbed].

2. Why, just recently I witnessed a simpleton court usher marvel with the expert eye of a small-time race aficionado as the new lawyer, thighs lifting high, shoes ringing the marble, climbed from step to step.

2. Doch sah ich letzthin auf der Freitreppe selbst einen ganz einfältigen Gerichtsdiener mit dem Fachblick des kleinen Stammgastes der Wettrennen den Advokaten bestaunen, als dieser, hoch die Schenkel hebend, mit auf dem Marmor aufklingendem Schritt von Stufe zu Stufe stieg.

3. Im allgemeinen [general] billigt [sanction Or approve] das Barreau [french: the bar] die Aufnahme [inclusion Or acceptance] des Bucephalus. Mit erstaunlicher [surprising Or amazing] Einsicht [insight Or understanding] sagt man sich [one says to oneself], daß Bucephalus bei der heutigen Gesellschaftsordnung [social order] in einer schwierigen [difficult] Lage [situation] ist und daß er deshalb, sowie [as well as] auch wegen seiner weltgeschichtlichen [world-historical] Bedeutung [importance], jedenfalls [at least] Entgegenkommen [goodwill Or obligingness Or accomodation] verdient [earned].

3. In general the bar approves Bucephalus’s membership. With astonishing understanding, one says to oneself that Buchephalus is, given today’s social order, in a difficult situation, and that because of that, as well as his world-historical import, he deserves at the least our courtesy.

3. Im allgemeinen billigt das Barreau die Aufnahme des Bucephalus. Mit erstaunlicher Einsicht sagt man sich, daß Bucephalus bei der heutigen Gesellschaftsordnung in einer schwierigen Lage ist und daß er deshalb, sowie auch wegen seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, jedenfalls Entgegenkommen verdient.

4. Heute – das kann niemand leugnen [deny] – gibt es keinen großen Alexander. Zu morden [murder, kill] verstehen [understand] zwar [certainly] manche [some]; auch an der Geschicklichkeit [skill], mit der Lanze [lance Or spear] über den Bankettisch [banquet-table] hinweg [over Or across] den Freund zu treffen [hit], fehlt [lacks] es nicht; und vielen [to many (“to”: NOT “too”; this is dative) ist Macedonien zu eng [tight Or narrow], so daß sie Philipp, den Vater, verfluchen [curse] – aber niemand, niemand kann nach Indien führen [lead].

4. Today–no one can deny it–there is no great Alexander. To be sure, some understand how to murder; and the skill to spear one’s friend over a banquet table is likewise not lacking, and for many Macedonia is too cramped, so that they curse Philip, their father,–but no one, no one, can lead into India.

4. Heute – das kann niemand leugnen – gibt es keinen großen Alexander. Zu morden verstehen zwar manche; auch an der Geschicklichkeit, mit der Lanze über den Bankettisch hinweg den Freund zu treffen, fehlt es nicht; und vielen ist Macedonien zu eng, so daß sie Philipp, den Vater, verfluchen – aber niemand, niemand kann nach Indien führen.

5. Schon damals [in those days] waren Indiens Tore [gates] unerreichbar [unreachable], aber ihre Richtung [direction] war durch das Königsschwert [kings-sword] bezeichnet [mark]. Heute sind die Tore ganz anderswohin [elsewhere] und weiter und höher vertragen [to tolerate Or to take] ; niemand zeigt die Richtung [direction]; viele halten [hold] Schwerter [swords], aber nur, um mit ihnen zu fuchteln [brandish]; und der Blick [look], der ihnen folgen [follow] will, verwirrt sich [becomes muddled].

5. Even in those days, India’s gates were out of reach, but their direction was indicated by the king’s sword. Today the gates are utterly elsewhere, carried off further and higher; no one shows the way; many hold swords, but only to brandish them about; and the gaze that would follow them gets muddled.
5. Schon damals waren Indiens Tore unerreichbar, aber ihre Richtung war durch das Königsschwert bezeichnet. Heute sind die Tore ganz anderswohin und weiter und höher vertragen; niemand zeigt die Richtung; viele halten Schwerter, aber nur, um mit ihnen zu fuchteln; und der Blick, der ihnen folgen will, verwirrt sich.

6. Vielleicht [maybe] ist es deshalb [therefore] wirklich [really] das Beste [the best], sich, wie es Bucephalus getan hat, in die Gesetzbücher [law-books] zu versenken [sich~: immerse oneself into Or get absorbed by]. Frei [free], unbedrückt [bedrueckt: oppressed] die Seiten [sides] von den Lenden [loins] des Reiters [(of the) rider], bei stiller [quiet, still] Lampe [light], fern [far] dem Getöse [din] der Alexanderschlacht [Alexander-battle], liest [reads] und wendet [turn] er die Blätter [pages] unserer alten Bücher.

6. Maybe it is therefore really best to, like Bucephalus, lose oneself in old law books. Free, sides not pressed by a rider’s loins, by still and quiet lamp, far from the din of the Alexander battle, he reads and turns the pages of our old books.

6. Vielleicht ist es deshalb wirklich das Beste, sich, wie es Bucephalus getan hat, in die Gesetzbücher zu versenken. Frei, unbedrückt die Seiten von den Lenden des Reiters, bei stiller Lampe, fern dem Getöse der Alexanderschlacht, liest und wendet er die Blätter unserer alten Bücher.

Author: Franz Kafka
Translation Team: AMW & BW Translation Services, Ink(well)

English Translation

Der neue Advocat./The new Lawyer.

We have a new lawyer, Dr. Bucephalus. Little in his appearance reminds one of the time he was yet the war horse of Alexander from Macedonia {Alexander the Great}. However, one who is familiar with the circumstances notices a few things. Why, just recently I witnessed a simpleton court usher marvel with the expert eye of a small-time race aficionado as the new lawyer, thighs lifting high, shoes ringing the marble, climbed from step to step.

In general the bar approves Bucephalus’s membership. With astonishing understanding, one says to oneself that Buchephalus is, given today’s social order, in a difficult situation, and that because of that, as well as his world-historical import, he deserves at the least our courtesy. Today–no one can deny it–there is no great Alexander. To be sure, some understand how to murder; and the skill to spear one’s friend over a banquet table is likewise not lacking, and for many Macedonia is too cramped, so that they curse Philip, their father,–but no one, no one, can lead into India. Even in those days, India’s gates were out of reach, but their direction was indicated by the king’s sword. Today the gates are utterly elsewhere, carried off further and higher; no one shows the way; many hold swords, but only to brandish them about; and the gaze that would follow them gets muddled.

Maybe it is therefore really best to, like Bucephalus, lose oneself in old law books. Free, sides not pressed by a rider’s loins, by still and quiet lamp, far from the din of the Alexander battle, he reads and turns the pages of our old books.

Original:

Wir haben einen neuen Advokaten, den Dr. Bucephalus. In seinem Äußern erinnert wenig an die Zeit, da er noch Streitroß Alexanders von Macedonien war. Wer allerdings mit den Umständen vertraut ist, bemerkt einiges. Doch sah ich letzthin auf der Freitreppe selbst einen ganz einfältigen Gerichtsdiener mit dem Fachblick des kleinen Stammgastes der Wettrennen den Advokaten bestaunen, als dieser, hoch die Schenkel hebend, mit auf dem Marmor aufklingendem Schritt von Stufe zu Stufe stieg.

Im allgemeinen billigt das Barreau die Aufnahme des Bucephalus. Mit erstaunlicher Einsicht sagt man sich, daß Bucephalus bei der heutigen Gesellschaftsordnung in einer schwierigen Lage ist und daß er deshalb, sowie auch wegen seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, jedenfalls Entgegenkommen verdient. Heute – das kann niemand leugnen – gibt es keinen großen Alexander. Zu morden verstehen zwar manche; auch an der Geschicklichkeit, mit der Lanze über den Bankettisch hinweg den Freund zu treffen, fehlt es nicht; und vielen ist Macedonien zu eng, so daß sie Philipp, den Vater, verfluchen – aber niemand, niemand kann nach Indien führen. Schon damals waren Indiens Tore unerreichbar, aber ihre Richtung war durch das Königsschwert bezeichnet. Heute sind die Tore ganz anderswohin und weiter und höher vertragen; niemand zeigt die Richtung; viele halten Schwerter, aber nur, um mit ihnen zu fuchteln; und der Blick, der ihnen folgen will, verwirrt sich.

Vielleicht ist es deshalb wirklich das Beste, sich, wie es Bucephalus getan hat, in die Gesetzbücher zu versenken. Frei, unbedrückt die Seiten von den Lenden des Reiters, bei stiller Lampe, fern dem Getöse der Alexanderschlacht, liest und wendet er die Blätter unserer alten Bücher.